Jesus berichtet über sein Leben auf Erden.



7. Juni 1915.

       Ich bin hier, Jesus.

       Ich möchte dir heute Nacht über meine Geburt bis hin zur Zeit meiner öffentlichen Lehrtätigkeit schreiben. Wie allgemein bekannt ist, wurde ich in Bethlehem geboren. Meine erste Wiege war eine Futterkrippe. Um den Soldaten des Herodes zu entkommen, die ausgesandt wurden, um mich zu töten, brachten mich meine Eltern nach Ägypten, kaum dass ich ein paar Tage alt war. Es ist wahr, dass damals eine große Anzahl Knaben, die nicht älter als zwei Jahre waren, getötet wurden—die Erzählung in der Bibel über meine Geburt, die Flucht meiner Eltern und den Mord an den unschuldigen Kindern ist im Wesentlichen richtig.

       Dass ich in einem Stall auf die Welt gekommen bin, lag allerdings nicht daran, dass meine Eltern kein Geld hatten—der Ort an sich war für eine Niederkunft mehr als geeignet und verfügte über alle erforderlichen Voraussetzungen; mein Vater hatte es nämlich damals bereits zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht.

       Dass die Weisen mir Geschenke wie Gold und Weihrauch brachten, ist ebenfalls richtig, wenn auch der finanzielle Gegenwert eher Symbolcharakter hatte. Das Geld für unsere Flucht nach Ägypten stammte aus dem Verkauf der gesamten Habe, die mein Vater wegen der Reise nach Bethlehem zurücklassen musste.

In Ägypten angekommen, wohnten wir anfangs bei Verwandten, ehe mein Vater ein eigenes Haus baute, um kurz darauf einen erfolgreichen Handwerksbetrieb zu gründen.

Dieser relative Wohlstand ermöglichte es mir, zusammen mit meinen Geschwistern—vier Brüder und drei Schwestern, die allesamt in Ägypten geboren wurden, eine durchaus angemessene Schulbildung zu erhalten.

       Zusammen mit vielen Gleichaltrigen besuchte ich eine Art Grundschule. Neben Allgemeinwissen wurde hier vor allem die jüdische Religion unterrichtet; der Mysterienkult Ägyptens oder andere, heidnische Philosophien standen nicht auf dem Lehrplan. Dass meine religiösen Ideen oder meine Morallehre auf dem Fundament dieser philosophischen Strömungen entstanden sein sollen, ist deshalb nicht richtig.

       Meine religiöse Erziehung basierte vornehmlich auf der Auslegung des Alten Testaments, dem Talmud und dem Studium der Thora. Als ich damals begann, öffentlich zu lehren, war die Quelle meiner Weisheit aber nicht das, was ich einst über den jüdischen Glauben gelernt hatte, sondern ein Wissen, das tief in meinem Herzen verwurzelt war. Gott allein war mein Lehrer. Über eine geheime Verbindung zu den tiefsten Fasern meiner Seele sprach Er direkt zu mir oder sandte Seine Engel aus, um mir Seine göttlichen Wahrheiten zu bringen.

       Dies ist die einzige und wahre Quelle, durch die ich meine Kenntnis erlangte. Dabei war mir aber selbst nicht bekannt, dass Gott mich auserwählt hatte, der Menschheit Seine Frohbotschaft zu bringen. Ich wusste anfangs weder etwas von der Göttlichen Liebe, noch war mir bekannt, dass der Vater Sein Geschenk, das Er einst zurückgezogen hatte, erneuern wollte, noch auf welchem Weg der Mensch Unsterblichkeit erlangen würde.

       Dieses Wissen erschloss sich mir erst nach und nach, bis ich schließlich erkannte, dass ich der Gesalbte Gottes war, der durch die intensive Zwiesprache mit dem himmlischen Vater speziell für diesen Auftrag vorbereitet worden war. Dass ich der Messias war, wusste ich also erst, als ich zum Manne gereift war; die biblische Geschichte, wonach ich als Zwölfjähriger den Gelehrten und Priestern im Tempel das mosaische Gesetz ausgelegt und erörtert hätte, ist ein frommes Märchen.

Keiner Menschenseele war bekannt, welchen Auftrag Gott mir übertragen würde—nicht einmal mir selbst.

       Erst mit dem Beginn meiner öffentlichen Lehrtätigkeit gab ich mich den Priestern und Laien gegenüber als Messias zu erkennen und verkündete öffentlich, dass Gott mich gesandt hatte, die Frohbotschaft Seiner Unsterblichkeit zu verbreiten. Dies war der Beginn meiner Mission. Ab diesem Zeitpunkt erzählte ich den Menschen von der Göttlichen Liebe und dass nur diese Gnade allein bewirken würde, eins mit Gott zu werden und den Schlüssel für das himmlische Reich zu erhalten.

       Es stimmt, dass ich weder als Knabe, noch als Mann eine Sünde begangen habe. In meinem Herzen war der Begriff der Sünde einfach nicht vorhanden; dass ich anders war als meine Mitmenschen, behielt ich anfangs für mich. Erst als Johannes der Täufer bestätigte, dass ich der Messias bin, wagte ich, diese Wahrheit kundzutun—so eigenartig das heute auch klingen mag. Als Kind war ich wie jeder andere Junge. Ich spielte die gleichen Spiele wie meine Kameraden und nichts deutete darauf hin, welchen Auftrag ich einst erhalten sollte. Der einzige Unterschied zu den anderen Kindern war die Tatsache, dass ich nicht sündigte—alle anderen Wundertaten, die mich angeblich seit Kindesbeinen begleiteten, sind erfunden und vollkommen aus der Luft gegriffen.

       Als meine Verbindung zu Gott immer enger und inniger wurde, erkannte ich, dass Gott einen speziellen Auftrag für mich hatte. Die Weisheit, die Er mir in diesem Zusammenhang vermittelte, wurde zum zentralen Fundament meiner gesamten Lehre. Ich war also ganz Mensch und zugleich der Auserwählte Gottes.

       Vieles, was die Bibel über mich zu berichten weiß, ist alles andere als wahr und es ist höchste Zeit, dass die Menschen aufhören, diese Geschichten zu verbreiten. Ich bin weder der eingeborene Sohn Gottes, noch hat meine Mutter durch einem Engel erfahren, dass der Heilige Geist auf sie herabkommen und sie als Jungfrau ein Kind empfangen soll. Alle diese Berichte sind frei erfunden und schlichtweg Unfug. Meine Mutter hat mir bestätigt, dass sich keinerlei wundersame Dinge zugetragen haben, als sie mich unter dem Herzen trug.

       Zu keinem Zeitpunkt gab es ein Anzeichen, dass ich ein außergewöhnliches Kind sein würde. Wie alle anderen Menschen wurde auch ich durch die Vereinigung von Mann und Frau empfangen—das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis entbehrt also jeglicher Grundlage. Wäre ein Engel zu ihr getreten und hätte verkündet, was heute allgemein behauptet wird, dann hätte meine Mutter mir dieses Ereignis sicher nicht vorenthalten.

       Dass eine Jungfrau ein Kind empfangen könne, ohne dass sie mit einem Mann zusammen ist, war damals wie heute ein Ding der Unmöglichkeit und ist das seltsame Produkt menschlicher Phantasie. Keinen Augenblick lang stellte Josef seine Vaterschaft in Frage, noch erzählte er mir von einem Engel oder dass meine Mutter bereits vor ihrer Heirat schwanger gewesen wäre. Ich habe ihn oftmals zu diesem Thema befragt, und jedes Mal bestätigte er mir, dass er niemals daran gezweifelt hätte, ich wäre nicht sein Sohn.

       Ab meinem zwölften Lebensjahr bis hin zu meiner öffentlichen Lehrtätigkeit arbeitete ich im Zimmermannsbetrieb meines Vaters. Mein Vater, mit dem ich bis dahin unter einem Dach lebte, zeigte die ganze Zeit über nicht das geringste Anzeichen dafür, dass er es jemals in Frage gestellt hätte, ich wäre nicht sein Sohn, obwohl ihm nicht entgangen war, dass ich anders war als die übrigen Kinder, weil er mich niemals Dinge tun sah, die sündig waren.

       Als die Göttliche Liebe in meine Seele strömte, vertiefte und intensivierte sich die Verbindung zu meinem himmlischen Vater, die bis dahin schon stark gewesen war, noch weiter. Langsam wurde mir bewusst, dass Gott mich ausersehen hatte, Sein Werk auf Erden zu verrichten und als Sein Messias—als Gesalbter Gottes—den Menschen die Erlösung durch die Gnade der Göttlichen Liebe zu predigen. Johannes der Täufer war mein Cousin und seit frühester Kindheit mit mir befreundet. Während wir als Kinder lediglich miteinander spielten, pflegten wir mit zunehmendem Alter die jüdische Theologie zu diskutieren.

       Dabei waren die Naherwartung des prophezeiten Messias und seine Sendung zentrales Thema unserer Gespräche. Schließlich eröffnete ich ihm, dass ich der ersehnte Messias bin, und Johannes, der eine außergewöhnliche, mediale Begabung besaß, bestätigte mir in seinen Visionen, dass ich sowohl der Gesalbte Gottes bin, als auch den Auftrag, den ich von meinem himmlischen Vater erhalten hatte.

       Als die Zeit schließlich reif war, öffentlich zu wirken, verkündete Johannes mein Kommen. Er wusste, dass jeder von uns mit seiner ganz persönlichen Sendung beauftragt war und hegte keinen Zweifel daran, dass ich der Auserwählte Gottes bin, was in der Aussage, er wäre es nicht wert, meine Schuhriemen zu lösen, seinen Niederschlag fand. Doch obwohl er mich als Messias anerkannte, konnte er nicht wirklich verstehen, worin nun meine eigentliche Aufgabe bestand. Es dauerte seine Zeit, bis Johannes verinnerlichte, was die Göttliche Liebe bedeutet und dass die Möglichkeit, Unsterblichkeit zu erwerben, erneuert worden war.

       Als Johannes mich im Jordan taufte, salbte mich der Vater zum Christus. Der Mensch Jesus darf dabei aber nicht mit Jesus Christus verwechselt werden! Christus sein ist ein universelles Prinzip und bedeutet die Wandlung der Seele vom bloßen Abbild Gottes in Seine göttliche Substanz.

Dabei verschenkt der Vater eine solch große Menge an Göttlicher Liebe, dass der Mensch eins mit Ihm und als Christus neu geboren wird. Um zum Christus zu werden, muss der Mensch dabei aber nicht warten, bis er das spirituelle Reich bewohnt, sondern diese Wandlung kann auch stattfinden, noch während er in Fleisch gekleidet ist.

       Das Christus-Prinzip ist—wie der Heilige Geist selbst—universell und allgegenwärtig, die Person Jesus hingegen ist den gleichen Beschränkungen unterworfen wie jeder andere Mensch auch und kann beispielsweise nicht gleichzeitig an zwei verschiedenen Stellen sein. Der Bibelspruch, dass ich bei euch bin, wenn zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bezieht sich also auf das Christus-Prinzip, und nicht auf den Menschen Jesus.

       Kein Mensch—weder auf Erden, noch im spirituellen Reich—kann an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig sein. Das Christus-Prinzip aber unterliegt keinerlei Beschränkungen und ist folglich in der Lage, das eben erwähnte Versprechen zu erfüllen. Im Gegensatz zur Person Jesu kann Christus weder gekreuzigt werden, noch sterben.

Viele Menschen haben mittlerweile die Wandlung zum Christus erfahren und erkannt, was es heißt, wahrhaft unsterblich zu sein.

       Dies soll für heute genügen. Auf deine Frage hin, ob du einer Energie ausgesetzt bist, die deine Augenlider müde und schwer macht, kann ich dich beruhigen: Du bist vor jeglichen Einflüssen geschützt, brauchst als Mensch aber nun einmal Schlaf und Ruhe! Schon bald werden wir meine Botschaft fortsetzen.

       Dein Bruder und Freund,

       Jesus.